Am nächsten Tag gehe ich nicht zur Schule. Meine Eltern
denken ich kann mich nicht benehmen? Na, denn. Legen wir mal los! Ich verlasse
ganz normal das Haus, als würde ich zur Schule gehen. Vor Tess´ Schule warte
ich. Vielleicht habe ich ja Glück und fange sie ab. Mit dem regelmäßig in die
Schule gehen, hat sie es nicht so.
Ich denke an die Zigarette von gestern Abend. Geschmeckt hat
sie ja nun überhaupt nicht. Aber einem Teil von mir tat es gut. So gut, dass
ich die Zigaretten in meiner Tasche habe. Ich habe Lust, etwas total Verrücktes
anzustellen.
Gestern Abend habe ich Batterien gesucht und meinen
Schreibtisch durchwühlt. Dann ist mir das Buch Der Graf von Monte Christo in die Hände gefallen, Jeremys
Geburtstagsgeschenk. Ich habe seinen Geburtstag total vergessen. Und jetzt
liegt dieses Buch in meinem Schreibtisch und erinnert mich immer wieder daran, dass
ich ein schlechter Mensch bin. Vielleicht gebe ich es ihm einfach, natürlich
nicht persönlich.
„Guten Morgen“, flötet mir Tess entgegen, als sie mich
sieht.
„Hey“, sie gibt mir zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange.
„Was machst du hier? Deine Schule ist doch wo ganz anders!“
„Ich schwänze heute. Ich dachte, ich schaue kurz vorbei.“
Ihre Augen fangen an zu leuchten.
„Oh, fein. Ich komme mit!“, sagt sie.
„Ich will dich nicht anstiften. Nicht, dass du meinetwegen
noch Ärger bekommst.“
„So ein Quatsch! Natürlich komme ich mit.“ Tess hakt sich
unter und zieht mich von ihrer Schule weg. „Komm schnell, sonst sieht mich ein
Lehrer. Das brauch ich dann doch nicht.“ Wir laufen Richtung Einkaufszentrum.
Was wir allerdings dort machen, weiß ich noch nicht.
„Wie geht es deinem Tattoo?“, erkundige ich mich.
„Super!“
„Hast du es deinen Eltern gezeigt?“ Eigentlich eine blöde
Frage.
„Bist du verrückt? Meine Mutter kriegt nen Schlaganfall und
mein Vater nen Herzinfarkt.“ Ich erzähle ihr von gestern Abend. Was meine
Eltern gesagt haben.
„Nimmst du die Pille?“, frage ich sie.
„Klar“, sagt sie locker. Dann lehnt sie sich zu mir. „Aber
meine Alten wissen nix davon.“
„Und würdest du es tun, wenn sie es von dir verlangen
würden?“ Vielleicht bin ich in dem Fall zu stur, daher wüsste ich gerne, was
sie davon hält.
„Nein. Im ersten Moment würde ich wahrscheinlich genauso
reagieren wie du. Aber weißt du, du weißt nicht, ob dir morgen nicht der
tollste Junge der Welt über den Weg läuft … Und dann? Dann bist du
vorbereitet.“ Soweit hatte ich nicht gedacht. Ich war im hier und jetzt.
„Hmm, vielleicht hast du recht“, gebe ich kleinlaut von mir.
„Natürlich. Heute weißt du das noch nicht. Aber wenn dieser
Junge auftaucht, sieht die Sache ganz anders aus. Vertrau mir.“ Wenn dieser
Junge auftaucht? Eigentlich war er schon da. Aber das wollte ich ihr nicht
sagen.
Am Einkaufszentrum angekommen, traue ich meinen Augen nicht.
Alice kommt gerade aus der Buchhandlung. Ich ringe mit mir, ob ich sie
ansprechen soll. Schließlich hat sie meiner Mutter von Sam erzählt! Tess sieht
mich fragend von der Seite an.
„Warte hier! Ich muss was erledigen.“ Sie lässt sich auf
eine der Bänke nieder und ich lasse meine Tasche bei ihr. Ich laufe geradewegs
auf Alice zu. In Gedanken gehe ich die Worte durch, die ich gleich zu ihr sagen
werde. Im ersten Moment sieht sie mich nicht. Sie überfliegt einen Zettel, ich
nehme an einen Einkaufszettel, in ihrer Hand. Dann sieht sie hoch.
„Morgan“, zuerst scheint sie sich zu freuen, dann fällt ihr
wohl wieder ein, dass ich eigentlich in der Schule sein sollte.
„Wieso haben sie meine Mutter angerufen?“ Sie sieht mich verwirrt
an.
„Ich verstehe nicht, was du meinst.“
„Sie haben ihr von Sam erzählt!“ Mein Ton ist doch schärfer,
als beabsichtigt. „Jetzt hält sie mich für eine Lügnerin, schleift mich zum
Gynäkologen und verpasst mir Hausarrest!“
„Oh, Morgan. Dass ist das letzte was ich wollte. Ich wollte
nur, dass sie weiß, dass Jungs jetzt ein Thema in deinem Leben sind.“
„Das geht sie nichts an! Reden sie nie wieder mit meinen
Eltern!“ Ohne abzuwarten, ob sie noch etwas zu sagen hat, drehe ich mich um und
laufe zu Tess zurück. Sie fragt nicht, was los ist. Sie weiß, ich würde ihr keine
Antwort geben. Wir verbringen den Morgen im Einkaufszentrum. Tess versorgt uns
mit Kaffee und Kuchen. Ich frage, woher das Geld kommt und wie sie eigentlich das
Tattoo bezahlen konnte. Sie erklärt mir, dass sie ihrem Vater alle paar Tage
seinen Geldbeutel klaut. Das Bargeld lässt sie größtenteils unberührt. Sie
nimmt eine seiner Karten und hebt Geld ab. Am nächsten Tag gibt sie ihm die
Karte wieder. Sie erzählt ihm, ihre Mutter hätte die Karte benutzt und Tess
gesagt, sie solle sie wieder ihrem Vater bringen. Da ihr Vater denkt, die
Auszahlungen wären von ihrer Mutter, sagt er nichts.
„Mein Vater würde das sofort merken. Naja, er gibt meiner
Mutter auch immer das Geld zum Einkaufen. Der würde sofort stutzig werden, wenn
ich seine Karte hätte. Oder meine Mum.“
„Jap. Das traue ich deinem Alten zu.“ Ich sehe auf die Uhr.
„Ich muss nach Hause“, stelle ich fest. „Meiner Mutter
sagen, dass ich geschwänzt habe.“ Wir müssen beide lachen.
„Wieso erzählst du es ihr denn?“
„Sie erfährt es sowieso. Und ich möchte gerne ihr Gesicht
sehen, wenn sie feststellt, dass mir ihre Regeln egal sind.“ Tess nickt
zustimmend.
„Ja, das ist gut. Und dann gehst du locker in dein Zimmer.“
„Genau“, ich grinse sie an, bei dem Gedanken an meine
Mutter, hebt sich meine Stimmung. Tess läuft noch ein Stück mit mir mit.
Wie geplant, habe ich meiner Mutter direkt gesagt, dass ich
geschwänzt habe. Sie hat mich nach meinem Tag gefragt, also habe ich ihr von
dem leckeren Kaffee im Einkaufszentrum erzählt. Natürlich hat sie mich sofort
in mein Zimmer geschickt. Sie hat mir gedroht, ich würde nichts zu essen
bekommen. Egal, habe ich erwidert. Ich habe schon im Einkaufszentrum gegessen.
Da ich sonst nichts zu tun hatte, habe ich mich auf mein Bett gelegt und bin
weggedöst. Ein Klingeln an der Tür weckt mich. Ich öffne die Augen und
orientiere mich erst einmal. Mein Vater spricht lauter als gewöhnlich. Ich
öffne meine Tür um zu lauschen.
„Morgan hat Hausarrest! Sie darf mit niemandem sprechen. Und
mit dir schon gar nicht!“
„Mr. Preston.“ Sam! Der hat vielleicht Nerven. „Das verstehe
ich ja. Es dauert auch nicht lange.“
„Verschwinde!“, schreie ich von oben runter.
„Morgan, geh in dein Zimmer!“, schreit mein Vater zurück und
ich lache.
„Ich bin in meinem Zimmer! Was will er?“ Sie reden leiser
und ich verstehe nicht mehr was sie sagen, also mache ich ein paar Schritte aus
meinem Zimmer in Richtung Treppe. Als hätte es mein Vater gerochen, schaut er
im gleichen Moment zu mir nach oben, als ich um die Ecke linse.
„Morgan?“, sagt Sam. Mein Vater öffnet den Mund und will
etwas sagen, aber ich komme ihm zuvor.
„Ich habe schon Zimmerarrest, Dad. Du hast also kein
Druckmittel mehr.“ Er sieht zu mir, dann wieder zu Sam.
„Ihr habt zehn Minuten!“ Ich laufe die Treppe runter und
bleibe neben meinem Vater stehen. Er sieht auf meine Schuhe. „Hast du vor
abzuhauen? Oder soll ich die Schuhe lieber mitnehmen?“ Anscheinend ist doch
noch ein Funken Vertrauen da, denn er geht und lässt mir die Schuhe.
„Also?“, frage ich Sam direkt ohne Umschweife.
„Was fällt dir eigentlich ein?“, seine Stimme ist genauso
kalt, wie der Blick den er mir zuwirft.
„Wovon sprichst du?“ Meine Stimme klingt unschuldig, aber
ich kann mir schon denken, warum er hier ist.
„Du hast meine Mutter heute Morgen im Einkaufszentrum
ziemlich angeschnauzt. Sie hat es nur gut gemeint.“
„Ach, hat sie das?“ Ich überkreuze meine Arme und sehe ihn
herausfordernd an. Seine Mutter ist mir herzlich egal.
„Morgan? Was ist nur los mit dir?“
„Was soll sein?“
„Herrgott! Kannst du nicht einfach antworten. Caleb, Jeremy
und ich machen uns Sorgen um dich! Du zerstörst dein Leben. Merkst du das denn
nicht?“ Seine Worte lassen mich auflachen.
„Nein, Sam. Das hast du getan als du mich geküsst hast.
Davor war alles bestens.“ Einen Moment ist er perplex.
„Das ist doch Unsinn! Es war nur ein Kuss! Und mit Jeremy
ist alles geklärt. Er ist nicht sauer. Weder auf mich noch auf dich.“
„Jeremy und ich?“, ich schüttle den Kopf und schlucke die
Tränen herunter. „Und was ist mit dir und mir? Oder mit Caleb und mir?“
„Morgan“, setzt er an.
„Du“, ich mache einen Schritt auf ihn zu und meine Stimme
wird bei den nächsten Worten hart. Er soll nicht merken, wie ich mich wirklich
fühle. „Du hast alles zerstört. Meine Freundschaft zu euch allen dreien! Und
als deine Mutter meine angerufen hat, war das der Tropfen, der das Fass zum
überlaufen gebracht hat.“ Sam schluckt schwer und macht einen Schritt Richtung
Tür.
„Es tut mir leid. Morgan, das wollte ich bestimmt nicht.“
„Verschwinde!“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen